Was ist die Anamnesegruppe?
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Vielfältiges Vertiefen der Gesprächsführung und Kommunikation, neue Blickwinkel, Lernen durch Erfahrung in Kleingruppen
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1 Gespräch pro Teilnehmer*in pro Semester auf unterschiedlichen Stationen im AKH
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Kein Vorwissen/keine Vorerfahrung nötig
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Angeleitet von 1-2 studentischen Tutor*innen pro Gruppe nach dem Peer-to-Peer-Konzept (Wir kümmern uns um die Orga & geben ein bisschen Input; die Gruppe lebt jedoch von Diskussionen auf Augenhöhe und viel Freiraum)
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Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen arbeiten gemeinsam (Medizin, Psychologie, vergleichende Literaturwissenschaften, Social Design, etc.)
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Studierende mit unterschiedlichem Studienfortschritt
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Transdisziplinärer und kreativer Lernzugang zu medizinischen Themen
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Anwesenheitspflicht über zwei Semester hinweg
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Die Benotung erfolgt am Ende des zweiten Semesters über Abschlussprojekte, die bei einer Abschlussfeier präsentiert werden (Die Arbeiten des letzten Jahrgangs findet ihr auf unserem Instagram-Profil) - Keine Prüfung
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Austausch mit Studierenden anderer Kleingruppen bei einem sogenannten Großgruppen-Treffen
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Mehr als ein duzend Anamnesegruppen im deutschsprachigen Raum: Möglichkeit zur internationalen Netzwerkbildung im Zuge von jährlich stattfindende Treffen​
Eine Auswahl an Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzen: ​
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​​​Wie rede ich über Sexualität / Tod / Suizid / psychische Krankheit?
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Wie bereite ich mich auf mein erstes Anamnesegespräch vor?
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Was ist das bio-psycho-soziale Modell?
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Was macht ein naturwissenschaftliches Studium mit dem Menschenbild von uns Studierenden?
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Wie kann ich angesichts Überforderung und Zeitmangel empathisch sein?
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Was bringe ich selbst (bewusst/unbewusst) in die Interaktion zwischen mir und Patient*in ein?
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Wie gelingt es mir bei starkem Rededrang der Patientin/des Patienten die Kontrolle über das Gespräch zu behalten?
Was passiert in einer Anamnesegruppe?
Für die Teilnahme an der Anamnesegruppe wird keinesfalls erwartet, dass du dich mit medizinischen Details auskennst. Entscheidend sind am ehesten deine Bereitschaft, dich in einer neuen und ungewohnten Situation einzubringen und deine Freude am offenen Austausch mit anderen Studierenden verschiedener Disziplinen. Jede der einzelnen Anamnesegruppen besteht aus ein bis zwei Tutor*innen und einer Gruppe von Teilnehmenden, die sich aus Studierenden der Medizin und anderer Studienrichtungen mit unterschiedlichem Studienfortschritt zusammensetzt.
Im Laufe jeder wöchentlich stattfindenden Anamnesegruppeneinheit führt ein*e Teilnehmer*in in Gegenwart der anderen ein Patient*innengespräch. Die Teilnahme der Patient*innen erfolgt selbstverständlich auf freiwilliger Basis.
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Anschließend an das jeweilige Anamnesegespräch wird von der Gruppe Feedback zur Gesprächsführung und zum Gesprächsverlauf erarbeitet. Weiters werden unter anderem die Krankengeschichte in Bezug auf das bio-psycho-soziokulturelle Modell der Krankheitsentstehung und Themen der Beziehung zu Patient:innen diskutiert. Ein besonderes Augenmerk wird auf zwischenmenschliche Phänomene der Beziehungsgestaltung und die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung gelegt.
Die zweisemestrige Lehrveranstaltung wird mit einer Arbeit abgeschlossen, in der besonders auf die persönliche Reflexion der Erlebnisse und Erfahrungen im Rahmen der Anamnesegruppe wert gelegt wird. Nach Abgabe der Abschlussarbeit, regelmäßiger Anwesenheit über zwei Semester sowie aktiver Mitarbeit erhält jede:r Teilnehmer:in ein Zeugnis über die Lehrveranstaltung, die als freies Wahlfach bzw. alternative Erweiterung im Studium angerechnet werden kann.​​​
​Was bedeutet Anamnese in den Anamnesegruppen?
Die Anamnese wird von verschiedenen Seiten betrachtet. Neben vielen möglichen Zugängen zur Anamnese stehen in den Anamnesegruppen die zwischenmenschlichen Interaktionen von Gesprächsführer*in und Patient*in im Zentrum. Jede*r Teilnehmer*in ist aufgefordert, im Gespräch einen individuellen Zugang zum Gespräch mit der:dem Patient*in zu finden und spezifische Lehrinhalte der eigenen Fachdisziplin, eigene kommunikative Kompetenzen und inhaltliche oder formale Schwerpunkte einfließen zu lassen. Das Gespräch kann je nach Disziplin und Interessen von einer medizinischen-symptomorientierten Anamnese bis hin zum Narrativ reichen und soll vor allem für die Teilnehmenden frei gestaltbar sein. Das heißt, dass auch forschend-experimentelle, mediale oder künstlerische Aspekte eingeflochten werden können.​
Das Lehr- und Lern-Konzept
Anamnesegruppen verfolgen vielfältige, innovative und nachhaltige pädagogische Konzepte, die einen besonderen Lerneffekt ermöglichen. Die Konzepte lassen sich unter anderen als Peer-Group Konzept, das Konzept der Interdisziplinarität, der explorativen Gesprächsführungstechniken wie z.B. narrative Medizin bezeichnen. Auf dieser Basis entsteht ein Zugang zu wichtigen Themen in der Begegnung mit den Patient:innen. Damit werden auch die individuellen und kreativen Potentiale und Erfahrungsräume der Studierenden ins Zentrum gerückt und ein affektiver Lernprozess ermöglicht. So kann über die Auseinandersetzung mit der eigenen Beziehung zu Patient*innen und der Beziehung zu den Mitmenschen eine nachhaltige Entwicklung sozialer und kommunikativer Kompetenzen der Studierenden gefördert werden. Es entsteht ein prozesshaftes Lernen aus Erfahrung.
Aus diesem speziellen pädagogischen Blickwinkel erfolgt eine Aufwertung wesentlicher Bereiche in der Medizin, die sich auch unter dem Begriff „non-technical skills“ zusammenfassen lassen: Anamneseerhebung, soziale Kompetenz, Kommunikation und Teamfähigkeit.
Da auch in der Medizin 80% aller Komplikationen auf das Team oder Kommunikationsdefizite („non-technical skills“) zurückzuführen sind, leisten hier die Anamnesegruppen einen besonderen Beitrag zur diesbezüglichen Prävention und Qualitätssicherung.
Die Lehrziele sind unter anderem das Erleben und nachhaltige Erlernen einer biopsychosoziokulturellen Anamnese, die Erweiterung der Teamfähigkeit und der professionelle Umgang mit konstruktiver Kritik, die Auseinandersetzung mit Selbstwahrnehmung – Fremdwahrnehmung, kreativen Zugänge zur Kommunikation sowie das Anwenden und Festigen ethischer Goldstandards der Gesprächsführung. Kreative Medien, gruppendynamische und kommunikationsfördernde Übungen sollen einen individuellen Lernprozess mit Möglichkeit zur Reflexion fördern.